Hier teile ich Erinnerungen an ausgewählte vergangene Veranstaltungen. Von mir selbst oder Gästen.

Schön war’s!

 

Die Impro-Show zum Internationalen

Frauentag am 08. 04. 2024 in Ennepetal

Masken, telepathisches Kochen und die Erotik des Müllrausbringens

Anja Balzer mit improvisierter Theater-Show beim Frauentag in Haus Ennepetal

Ein Rückblick von Philipp Regener

Am Freitag, den 08. 03. 2024, fand im Haus Ennepetal die Veranstaltung zum Internationalen Frauentag 2024 statt. Katja Schlünder, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ennepetal, präsentierte als Gastgeberin vor nahezu ausverkauftem Haus einen gelungenen Abend mit Information, viel Emotion und einer begeisternden improvisierten Theatershow mit der Herner Bühnen-Künstlerin Anja Balzer.

Ab 17.30 Uhr füllte sich langsam der große Saal, und die zahlreichen Besucherinnen und auch Besucher – Organisatorin Katja Schlünder hat schon zu Beginn der Planung Wert darauf gelegt, dass auf dieser Veranstaltung jede und jeder Interessierte willkommen ist – kamen an den zahlreichen Info- und Aktionsständen miteinander ins Gespräch.

Den Abend eröffnete Ennepetals amtierende Bürgermeisterin Imke Heymann, die neben dem Publikum und den Vertreterinnen der zahlreichen Initiativen auch ihre Amtskolleginnen und -kollegen aus den kooperierenden Städten, welche gemeinsam die Veranstaltung zum Internationalen Frauentag 2024 im Haus Ennepetal präsentieren: Marion Prinz (stellvertretende Bügermeisterin von Sprockhövel), Peter Schier (stellvertretender Bürgermeister von Schwelm), Anita Schöneberg (1. stellvertretende Bürgermeisterin von Ennepetal), Petra Backhoff (stellvertretende Bürgermeisterin von Ennepetal) sowie Melanie Weinert (künftige Direktorin der vhs Ennepetal). Ihr besonderer Dank wurde der AVU zuteil, denn der große regionale Energieversorger konnte als Sponsor gewonnen werden und hat auf diese Weise dafür gesorgt, dass alle Beteiligten sich überhaupt zu diesem Anlass an diesem Ort versammeln konnten.

In ihrer darauf folgenden Begrüßungsrede betonte Frau Schlünder noch einmal das Motto des Abends: „Lachen – Staunen – Umdenken“, ein Motto, welches das nun kommende Showprogramm trefflich zusammenfasste. Denn nun betrat die Bühnenkünstlerin Anja Balzer gemeinsam mit ihrem Schauspielpartner Franz Mestre und dem Musiker Jakob Reinhardt die Bühne.

Gleich zu Beginn verkündeten Balzer und Mestre einige „Triggerwarnungen“, die das Publikum darauf einstimmten, was es erwarten konnte. Und was nicht:

„Triggerwarnung: Wir haben auch keine Lösung für gewisse Probleme.“

„Triggerwarnung: Wir haben keinen Text gelernt.“

„Triggerwarnung: Wir werden die vierte Wand durchbrechen. Wir werden Fragen stellen und erwarten Antworten.“

„Triggerwarnung: Es könnten Ausdrücke fallen, die nicht angemessen sind.“

„Triggerwarnung: Wenn‘s hart auf hart geht, müssen einige von Ihnen auf die Bühne.“

„Triggerwarnung: Ich bin keine Frau.“

„Triggerwarnung: Ich hasse Triggerwarnungen. Wer hierher kommt ist auch mutig genug, das das anzuschauen, was hier geschieht.“

Schon hier wurde deutlich, was sich im Verlauf des Abends zeigen sollte: das dreiköpfige Ensemble verstand es durchweg, auch schwere Themen in einem leichten Ton zu behandeln und sich dabei auch über Konventionen, Klischees und Haltungen auf hintergründige Weise lustig zu machen.

Dann machte Balzer ihren Spielpartnern gleich augenzwinkernd klar, wo der Hammer hängt:

„Ich habe euch mitgenommen, Jungs, damit Ihr mal seht, wie schön das ist, von Frauen wertgeschätzt zu werden. Aber das muss man sich verdienen!“

Nach diesen motivierenden Worten wurde das Konzept der Show erläutert. Und dem Publikum wurde klar, dass es galt, das Unerwartete zu erwarten.

Denn Anja Balzer und ihr Team boten eine improvisierte Theatershow – die einzelnen Szenen, die mal mehr, mal weniger direkt auf den Anlass und damit verbundene Themen Bezug nahmen, entstanden ohne Textbuch live im Moment unter Berücksichtigung der Inspirationen aus dem Publikum, die entweder auf Anfrage hereingerufen wurden oder im Vorfeld schriftlich notiert worden waren.

So ging es in der ersten Szene um ein Mitarbeitergespräch zwischen Chefin und Angestelltem, in dessen Verlauf immer wieder nach neuen Emotionen gefragt wurde, welche das Handeln der jeweiligen Figuren bestimmen sollten. Nach einer Achterbahn der Gefühle endete diese Geschichte mit einem gemeinsamen von Schauspielern und Musiker improvisierten Lied.

Als nächstes kamen dann die zuvor aufgeschriebenen Sätze ins Spiel: während der nächsten Szene griffen Balzer und Mestre immer wieder zu den zusammengefalteten Zetteln, öffneten jeweils einen davon und ließen die zuvor aufgeschriebenen Sätze durch lautes Vorlesen zum Teil des Dialogs werden. Es war beeindruckend, wie schnell die beiden diese zuvor unbekannten Sätze sinnvoll in die Auseinandersetzung eines Ehepaars zum Themenkomplex „Händewaschen und Umarmen“ einfließen lassen konnten. Und dass trotz der hohen Wortdichte auch der körperliche Slapstick nicht zu kurz kam.

Der theatrale Höhepunkt der ersten Hälfte war eine Überraschung, die Balzer für ihre Kollegen geplant hatte: während Franz Mestre sich in ein beeindruckend designtes Kleid werfen und sich eine Maske aufsetzen musste, ohne sie sich vorher anzusehen, schlüpfte Balzer in einen Businessanzug und setze sich eine identische Maske auf.

Dann spielten sie beide eine Szene ohne Dialog oder eigene Mimik, in deren Verlauf es galt, nach der von Reinhardt vorgelesenen Handlungsanweisung mit einem Teddybären zu interagieren und diesen zu beruhigen. Wie die beiden nur durch ihr körperliches Spiel die Kostüme und Masken mit Leben füllten, war faszinierend zu bestaunen. Die inhaltlichen Implikationen der Szene – beispielsweise, wie das Äußere und Erwartungshaltungen an unsere gesellschaftliche Funktion unser individuelles Verhalten definieren – luden dazu ein, sich auch noch lange nach Ende der Vorstellung mit ihnen zu beschäftigen.

Insgesamt wurde deutlich, dass sich das Publikum ein wenig auf das Bühnengeschehen und das für viele offensichtlich ungewohnte Format einstellen musste. Wer einfach ein paar launige Witze über geschlechtsspezifische Rollenklischees erwartet hatte, musste die eigenen Erwartungen anpassen.

Anja Balzer übt die Kunst des improvisierten Theaterspielens aus. Es wird zu jeder Sekunde deutlich, dass sie beim Begriff „Improtheater“ den Aspekt „Theater“ betont.

Und dass die äußeren Spielvorgaben auch einiges an Interpretationsmaterial zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit einer der oberflächlich betrachtet nur der reinen spaßigen Unterhaltung dienenden Szene bietet. So gab es eine Szene, in der Balzer einen männlichen Coach besucht um zu lernen, wie sie ein Mann werden kann (ihre Begründung: „Damit ich mehr Gehalt bekomme.“). Der Clou dabei: beide durften nur in Fragen sprechen, also jede Äußerung des Gegenübers nur mit einer Gegenfrage beantworten. Zum einen ist es höchst amüsant, den Menschen auf der Bühne dabei zuzuschauen, wie sie mit dieser Herausforderung umgehen. Zum anderen läuft auf der inhaltlichen Ebene die Handlung über eine Kreisbewegung ins Nichts. Das verdeutlicht: wenn niemand mal eine Aussage trifft und alle es dem jeweils anderen überlassen, ihre Fragestellungen zu beantworten, also ihr Problem zu lösen, wird sich nichts ändern.

Zu Beginn der zweiten Hälfte ordnete Franz Mestre das Thema des Abends und die Maskenszene noch einmal ein:

„Meine Meinung ist, wenn man etwas verändern will, muss man manchmal auch Wege ausprobieren, die auf den ersten Blick ungewohnt und total ungewöhnlich erscheinen. Dieses Risiko muss man eingehen, finde ich.“

Und im zweiten Teil der Show gingen auch wie zuvor angekündigt einige Teile des Publikums dieses Risiko ein, beispielsweise als 2 Frauen zusammen mit Franz Mestre eine Expertin spielten und abwechselnd jeweils nur durch Nennung eines Wortes gemeinsam zu Dritt vollständige möglichst sinnvolle Sätze bilden mussten, um Anja Balzers Interviewfragen zum vom Publikum geforderten Thema „sich gegenseitig telepathisch nähren“ bzw. „telepathisches Kochen, um glücklich zu machen und zu werden“ zu beantworten.

Bei allem inhaltlichem Unterhaltungswert demonstriert die Form dieser Szene auch gewisse gesellschaftliche Verhältnisse und die Herausforderungen und Vorteile, wenn mehrere Menschen gleichberechtigt zusammenarbeiten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das Ganze funktioniert nur durch die Au ja! – Haltung der einzelnen Person, ihrer Bereitschaft, den anderen zuzuhören und das zuvor Gesagte zu akzeptieren und es sinnvoll zu ergänzen.

Teile des Publikums waren ebenfalls gefragt, als die von Balzer und Mestre gespielten Figuren zwar sprechen, sich aber nicht selbstständig bewegen konnten. Letzteres musste dann von 2 Frauen aus dem Zuschauerraum übernommen werden, welche die beiden dann wie Puppen passend zum Dialog entsprechend Handlungen ausführen ließen. Das Publikum belohnte die Spielerinnen aus seinen eigenen Reihen mit frenetischem Applaus.

Auch diese Szene hat bei genauerer Betrachtung noch eine tiefere Bedeutungsebene, spiegelt sie doch die Situation mancher Frau, die im Blick der Öffentlichkeit eine Führungsposition innehat: nach außen hat sie das Sagen und die Verantwortung, hat aber keine Möglichkeit, sich selbst oder gar etwas anderes in diesem Rahmen zu bewegen, sei es aufgrund der Budgetierung oder anderen Gründen.

Insgesamt zog das Team um Anja Balzer in der zweiten Hälfte das Tempo an und betonte den interaktiven Unterhaltungsaspekt der Show.

Zum Beispiel, als eine alltägliche Aufgabe im Haushalt (das Publikum wählte „den Müll rausbringen“) in verschiedenen Genres nachgespielt wurde. Lässig bedienten die beiden sämtliche Klischees von Western und Star Trek, und spätestens beim Genre Erotik blieb dann im Publikum kein Auge mehr trocken.

Als die Show schließlich unter dem Titel „Menschenrecht hat kein Geschlecht“ mit einer gemeinsam improvisierten Hymne endete, gab es kein Halten mehr: frenetischer Applaus und Standing Ovations belohnten sowohl die Künstlerinnen und Künstler, als auch Katja Schlünder, die einen wunderbaren, unterhaltsamen, kommunikativen und nachdenklichen Abend auf die Beine gestellt hat.

Ein Abend, der seinem Motto Lachen – Staunen – Umdenken auf vielschichtige und überzeugende Weise gefolgt ist: das dargebotene Programm hat auf der inhaltlichen Ebene die beiwohnenden Menschen zum Lachen gebracht, in Staunen versetzt, indem es immer wieder demonstriert hat, wie eigentlich unmögliches möglich wird (Maskenszene, Menschen aus dem Publikum bestehen neben den Bühnenprofis, etc…) und durch dieses Erstaunen den einen oder anderen Umdenkungsprozess in Gang gesetzt.

Wer lacht, ist entspannt. Und wer entspannt ist, kann besser denken. These: vielleicht ließen sich mehr Veränderungen herbeiführen und mehr Probleme lösen, wenn insgesamt mehr freudig miteinander gelacht wird….

Dass Umdenken ein Schritt in die richtige Richtung sein kann, um Verbesserungen herbeizuführen, beweist auch die Tatsache, dass die Städte Ennepetal, Schwelm, Gevelsberg, Sprockhövel und der Ennepe-Ruhr-Kreis gemeinsam eine große Veranstaltung auf die Beine gestellt haben, sich also gewissermaßen zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zusammengeschlossen und die Interessen und Kräfte gebündelt haben, anstatt dass jede Stadt ihr eigenes, nur in eine kleine Schüssel passendes Süppchen kocht. Der Zuspruch und das Interesse des Publikums geben diesem Konzept Recht.

Da scheint es irgendwie doch ganz passend, dass mit der AVU das große regionale Energie- und Wasserversorgungsunternehmen als Sponsor diese Veranstaltung metaphorisch mit Energie versorgt, sie also finanziell gefördert und somit möglich gemacht hat.