Also ist mein heutiger Erkenntnisstand: ich bin gefährlicher als gedacht, wenn ich als Künstlerin meine Verwundbarkeit zeige. Zeige ich sie wirtschaftlich, dann sind wir schnell im Täter – Opfer- Retter Dramadreieck: „selbst schuld!  Augen auf bei der Berufswahl, sei gefälligst kreativ, dann klappt‘s auch mit dem Konto!“ zeige ich sie künstlerisch oder anders menschlich emotional berührend, dann kann das sehr unangenehm bei der Rezeption werden. Es könnte als Einladung verstanden werden- denn als solche ist sie auch gemeint – sich selbst und das eigene Tun zu hinterfragen, das kann schmerzhaft sein, ich weiß das. Ich betrachte mein eigenes Hamsterrad von Zeit zu Zeit und das ist zunächst wahrlich nicht immer eine seelische Wellnessbehandlung, das tut weh. Und darum passt es für mich gerade so wunderbar ins Bild: Mein Job ist es, zu berühren. Und das ist im Moment verboten, weil gefährlich. Im einfachen spuckenden infizierenden ebenso wie im übertragenen Sinne. Damit kann ich leben, leider nicht davon.

Die neue Strategie, die zu der bewährten dazu kommen wird, bin ich noch dabei zu lernen. Das fällt mir nicht leicht. Das Nehmende, das Weiche, das Stille, das Dunkle, das Absichtslose, das Arbeitslose, das Wertfreie, das Passive, das Ruhende, das bedingslos Liebende.

Es ist Zeit sich tragen zu lassen

Viele glauben, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, seine Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube das es ein Zeichen von grenzenloser Stärke ist, seine Bedürfnisse zu kennen, Schwächen einzugestehen und um Hilfe zu bitten. Zumal in dem Fall von den Bitten, um staatliche Förderung nicht Wehklagen das Fundament bildet, sondern Versprechungen bisher ungeklärt im Raum stehen. Ich bin kein Soldat und darum mag ich auch nicht immer kämpfen, so viele Narben tragen wir alle davon – aus Zeiten, in denen wir in unseren eigenen Schützengräben rumrutschen, es ist Zeit, sich auch mal tragen zu lassen.

Ich war in meinem Leben schon Verkäuferin, Kassiererin, Trainerin, Sekretärin, Tutorin, Studentin, Moderatorin, Bauzeichnerin, Klinikclown, Malerin, Sängerin, Schauspielerin, Touristin, Angeklagte, Klägerin, Tochter, Mutter, Frau und ich war gesund und krank, wurde geliebt und verachtet, habe versucht, mich männlich zu verhalten, habe versucht meine Weiblichkeit zu entdecken. Ich bin noch lange nicht fertig. Nicht mit Entdecken, nicht fertig mit Fühlen, nicht fertig mit Leben und nicht fertig mit Spielen. Ich habe in den letzten Wochen abgesagt, verzagt, versagt, vertagt, mitgetragen, versucht, gelernt, gemailt, gezoomt, gestreamt und kann nur sagen: um Geld zu verdienen wird mir auch neben der Kunst/Theaterszene irgendwann schon wieder was einfallen.

Der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen, aber er kommt, wenn er dran ist.

UND ich mag meinen jetzigen Beruf. Er wird auch immer ausgeübt werden. Meinen Beruf gab es auch schon immer. Manchmal geächtet, manchmal im Geheimen … aber er ist immer da. Menschen sind so.

Das volle Programm

Aber WENN ich Kunst und Theater mache, dann ich will das volle Programm: den Dreck, den Schweiß, den Sex, den Saft, die Spucke, das Blut, die Tränen, den Rotz, das Erbrochene, das Zarte, das Duftende, das Masslose, den Genuss, die Fülle, den Sturm, den Atemhauch….das Sinnliche, das Sanfte, das Leben. Ich spiele nicht mit und nicht vor Mundschutz. Von mir aus kann eine Scheibe dazwischen sein – aber seien wir doch bitte alle immer darauf gefasst, dass sie zerbrechen kann. Ich schaffe Räume und Verbindungen. Ich schaffe dieser Tage Räume, in denen es möglich ist, dass Menschen, die frisch in die Partei Widerstand 2020 eingetreten sind, deren Gegener und Mitglieder der Risikogruppe gleichzeitig in einem 3DRaum wertfrei und wohlwollend mit einander spielen, glücklich sind und heiter miteinander lachen. Ja ich stehe damit mit einem Bein in der Grauzone, bisher Regel konform, da ich mich als Profi und nicht als Hobbykünstler bezeichne. Auslegungssache.

Ich will mein Gegenüber sehen, hören, riechen und berühren – unter Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit aller im Raum. Das ist möglich.

Nein ich vertage nicht alles, was 2020 geplant war in das Jahr 2021 oder später. Ich lebe, agiere, konzipiere immer so aktuell wie möglich. Eines ist klar: ich werde auch – sollte ich leben, wovon ich heute ausgehe – etwas tun, auch 2021. Aber sicher nicht 1:1 etwas, was ich in diesem Jahr tun wollte. Wir verkaufen auch Zeit, feste Termine – darum ist es für mich nur allzu legitim eine Ausfallgage für diesjährige Engagements in Rechnung zu stellen. Wer weiß? Vielleicht fällt ja doch jemandem ein, das Seuchenschutzgesetz auch mal auf diesen Aspekt hin zu beleuchten?

Wir sind immer noch beim Punkt: Danke Corona, was ist Positives am neuen Normal?

Ich bin dankbar für folgende Klarheit in Sachen meine Haltung:

1. Ich bin beruflich bereit, den höchsten Preis zu bezahlen, für das Recht eines jeden Menschen sich im geschützten Rahmen wertfrei auszuprobieren und zu spielen.

2. Ich bringe mir in diesem Moment einmal so viel Liebe entgegen, dass ich sage, das es mir reicht und mein persönliches Maß voll ist.

Wie geht es mir?

Körperlich: In den letzten 3 Jahren hatte ich 2 Operationen. Myome im Unterleib haben dazu geführt, dass ich 6 Monate durchgehend Blutungen hatte. Ein Bandscheibenvorfall, 2 Bänderrisse und 2 Monate eine Lungenentzündung. Das hat mich geschwächt. In diesem Jahr 2020 geht es mir körperlich besser denn je. Ich mache Rückentraining, denn gerade mein Rückgrat ist notwendiger als je zuvor. Mein Immunsystem ist gut. Angst, Wut, Scham und Schlaflosigkeit schwächen es, Vitamin D, C, B, Magnesium, frische Luft, Freude und liebevolle Begegnungen stärken es.

Emotional:
Der langsame Abschied von meiner Mutter, der in ihrem Tod letzten Dezember mündete, der Abschied von vielen Werten meiner Kindheit im letzten Jahr, eine recht lebensbedrohliche Situation für meinen Mann Anfang diesen Jahres, diese langjährigen Überlastungen haben mich geschwächt. Zum Glück, so dass ich nun den Schmerz, die Traurigkeit, die Wut, die Scham, die Angst fühlen und tragen kann.

Es ist emotional zur Zeit für mich sehr anstrengend Ich zu sein. Gleichzeitig bin ich so dankbar für meine Freunde, wunderbare Kolleg/innen und meine Familie. Und ich bin dankbar für meinen Beruf. Ich bin gerne selbstständig.

Ich bin dankbar für Begegnungen. Ja für alle, auch, die, die mich auf die Palme bringen. Ich revanchiere mich an der ein oder anderen Stelle gern.

Gedanklich:
Was habe ich Sinnstiftendes für mich und meine Mitmenschen anzubieten? Was brauche ich? Wie erhalte ich, was ich brauche? Wie geht es weiter? Finanziell? Beruflich? Privat? Wie lösen das Menschen, die ich schätze, wie Menschen, die ich bisher vielleicht noch gar nicht kenne?

Seelisch:
In der kommenden Woche werde ich mal einen Realitätscheck machen. Ein Besuch bei meinem Hausarzt heute nachmittag möge Licht in den dunkeln Nebel meines Geistes bringen. Habe ich Recht mit meiner Einschätzung, dass ich nicht nur manisch-depressive Tendenzen habe, sondern mitten in einem Burnout bin? In jedem Fall werde ich mir professionelle Hilfe erbitten.

Denn mit einem aufgerissenen Herzen würde ich das tun.

Nun hat meine Seele einen empfindlichen Riss – unangenehm aber nicht länger zu leugnen. Ich brauche Zeit und habe sie. Ich brauche Stille UND Musik. Ich will Ying UND Yang. Cleo Wade hat ein Buch geschrieben, das mir gefällt. Da drin steht dies Gedicht:

Ich bin im Augenblick die Raupe
Vielleicht kann ich nicht fliegen
Wie ein Schmetterling
Aber ich bin vollkommen

….das wäre schön…hier endet es nicht, sie schreibt sondern:

Geerdet….ich bin im Moment eher auf den Boden gesunken – um in dem Wanne schlägt Wellen Sprachjargon zu bleiben.

Fazit:

Ein Festival nicht stattfinden zu lassen ist ebenso viel Arbeit, wie es durchzuführen.
Ich bin bedauerlicherweise nicht so gelassen, wie ich es mir wünsche.
Ich bin dankbar für alles Liebevolle in Wort und Tat, dass ich erleben darf.

Ich freue mich auf den Sommer.

„Werden Sie sich klar darüber wer Sie sind und was Sie wollen und sprechen Sie dann nach dem Piepton.“ War lange Zeit der Spruch auf meinem Anrufbeantworter. Ich mag es, wenn Menschen sagen, was sie denken und wenn sie vorher was gedacht haben.

Für mich ist es völlig in Ordnung, wenn jemand tut, was er/sie tut und dabei bei sich bleibt.

Don’t compare – don’t compete. Das ist schwierig. Auch für mich. Es gibt kein außen mehr – auch ein: „ da mach ich nicht mehr mit!“ Statement ist ein Mitmachen.

Mitmachen oder nicht

Ein Nichtmitmachen beim neuen Normal ist mir in diesem Augenblick nicht möglich.

Man darf schreiben, weinen, lachen, streamen, mailen, malen, singen, zum Friseur gehen, sich heute verlottern lassen und morgen stylen, lesen, apathisch rumliegen, rumzicken, trösten, nein sagen, ja sagen, nachts Spiegeleier essen, saufen, essen, fasten, schlafen, masturbieren, lustlos sein, sich dem Selbstmitleid hingeben, um Hilfe bitten, rennen, man darf kämpfen und man darf jammern. Man darf um Spenden bitten, man darf spenden, man darf nicht spenden, alles das ist o.k. Wer für mich spendet, der sichert damit Kunst, die im Sommer in Bochum stattfinden wird. Die Planungen laufen schon im Untergrund. Wer nicht spendet, sichert sich selbst. Alles ist o.k.

Mein Kollege antwortete auf meine Frage, was denn sein positiver Beitrag sei u. a. folgendes:

Ich hoffe, dass ich selbst einen positiven Beitrag leiste, möchte den aber hier nicht thematisieren. Da ich wirtschaftlich gesehen weder zu der einen oder anderen Berufsgruppe gehöre, wäre es doch ziemlich vermessen, mich selbst als Beispiel zu sehen…


In meinem Feed, also meiner individuellen Filterblase, tauchen Meldungen dieser beiden Berufsgruppen überproportional auf. Und da habe ich diese Beobachtung gemacht, die ich gerne mit euch teilen wollte … Ich glaube, um aufzurütteln.

Ich finde schon so viele Jahre, das besagter Kollege viele wundervolle positive Beiträge „leistet“, damit diese meine Welt schöner wird. Und von ihm aufrütteln lasse ich mich offensichtlich nur all zu gerne. Das bin ich wohl: aufgerüttelt.

Ich persönlich finde, es ist an der Zeit vermessen zu sein, es ist an der Zeit sich zuzumuten, es ist o.k. klar zu kommen und kreativ zu sein, auch wenn man keinen kreativen Beruf hat, es ist o.k. verzweifelt zu sein, auch wenn man wirtschaftlich abgesichert ist, es ist an der Zeit zu zeigen und zu sagen was mit Dir los ist. Es gibt viele Berufsgruppen: in der Kultur, dazu zähle ich auch Kultur aller Art: Gastronomie, Bordelle, Piercingstudios, Messen, Theater, Musik, Museen, Sport etc….manche kommen klar, andere nicht. Wer sich zeigt, mit dem was los ist, kann gesehen werden. Wer spricht, der wird hoffentlich wohlwollend gehört. Selbstfürsorge und Solidarität sind Kumpels.

Ich stehe hiermit ein für die Erlaubnis das zu leben, was gerade dran ist.

Es gibt eine Cartoonzeichnung von Krieg und Freitag, die mir sehr gefällt: Zwei Strichmännchen begegnen sich, das eine hält eine Tasse in der Hand. Das andere guckt in die Tasse und sagt. „Du trinkst geschmolzene Butter?“

Drunter steht als Untertitel: Jeder geht mit der Situation anders um.

„Gesegnet sind die, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten.“ (K. Valentin)