Ich möchte direkt zu Anfang das Missverständnis, das im Raum stehen könnte aus dem Weg räumen: ich schätze jeden einzelnen der hier zitierten Textverfasser sehr. Und kann aus der Perspektive des jeweiligen Verfassers von Zeilen, die Sichtweisen gut nachvollziehen. Filterblase mag ich als Formulierung sehr gerne. Geben wir einander mehr Einblick in unsere Filterblasen.

So viel spaltet die Nation, die Gesellschaft.

Anlässlich meines Geburtstages bin ich mehrfach gefragt worden, wie es mir geht und wie ich mit der Situation umgehe. Ob ich selbst auch persönlich von der Krise betroffen sei. Danke, für diese Fragen.

Mein erster Impuls dazu ist: sind wir das nicht alle – gleich betroffen? Jeder einzelne?

Die Meldungen, die Meinungen, die Diskussionen, die Stimmung beim Einkaufen suggeriert mir etwas anderes: nein, wir sind nicht alle gleich betroffen, nicht alle im gleichen Boot. Wir sind alle im gleichen Sturm. Und wir sind sicher nicht alle gleich. Natürlich nicht.

Dennoch sind wir verbunden.

Ich bin auf der Suche nach den Verbindungen – was verbindet uns alle? Ich bin in diesem Moment auf 6 Punkte gekommen, bestimmt gibt es noch weitere.

  1. Wir haben eine stürmische Situation: krass, plötzlich, massiv. Einen mehr oder weniger neu entdeckten Virus und die Art damit und den Konsequenzen umzugehen: der Sturm, wie ich es in der Metapher nenne.
  2. Werte: Solidarität, Schutz, Humor, Loyalität, Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit, Treue, Liebe, Freiheit…..
  3. Bedürfnisse: da gibt es diverse Pyramiden – ich werde mich heute an den folgenden 6 entlang bewegen, um meinen Worten eine Illusion von Struktur zu verleihen: Fairness, Autonomie, Status, Sicherheit, Zugehörigkeit und Sinn.
  4. Jeder hat seine eigene Geschichte, Geschichte von Verletzungen, Erfahrungen mit Autoritäten, Beziehungsgeschichten – jeder hat für sich bisher funktionierende Strategien gefunden, um damit zu leben. Eine Person kommt damit besser zurecht, eine andere schlechter.
  5. Emotionen: Wut, Trauer, Scham, Angst, Freude.
  6. Phasen eines Veränderungsprozesses/Krise: Leugnung, Widerstand, Depression, Akzeptanz, Lösung.

In den 5 Phasen schwanke ich dieser Tage hin und her. Je nach Information, die ich lese. Ich neige oft dazu, der Verführung zu erliegen und mich triggern zu lassen und das wütende Tier in mir frei zu lassen.

Weshalb eigentlich?

In einer Situation, an der ich persönlich nichts ändern kann, in der mir von Autoritäten wie der Landeschefin oder Vater Staat unpopuläre Entscheidungen mitgeteilt werden, die ich mittragen muss, bleiben fast alle Gehirnbedürfnisse – das ist vergleichbar mit einer betriebsbedingten Kündigung – unbefriedigt:

Autonomie? Unbefriedigt: ich habe es nicht selbst entschieden.

Status? unbefriedigt: arbeitslos, mittellos, im Vergleich zu anderen unwichtig – da kann ich nur meine persönliche Geschichte dazu anbieten: es war teuer und arbeitsintensiv die Regeln meiner Sozialisation z. B.:

  • Nimm Dich mal nicht so wichtig
  • Schulbildung für Frauen ist eh vergeudet
  • Bücher sind Zeitverschwendung
  • Wut macht hässlich
  • Schäm Dich, Du musst gehorchen
  • Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümmel zu schweigen etc.) zu hinterfragen und für mich neu zu definieren.

Ich habe mich, meinen Beruf neu erfunden und viele Einzelteile von mir lieben gelernt und gelernt, mich und meine Bedürfnisse aus Selbstfürsorge wichtig zu nehmen. Wenn mir dann jemand (Vater Staat) den Mund verbietet, mich auf mein Zimmer schickt und wenn ich damit unglücklich bin, mich auch noch belehrt, wie ich mich doch als besserer Mensch eigentlich zu fühlen hätte – wenn ich nur anderes wäre, handelte oder fühlte, dann , ja erst dann darf ich wieder mit den anderen spielen, nach Regeln, die nicht meine sind …. Nun, wenn das so ist, dann muss ich damit erst einmal für mich klar kommen. Ich sortiere das, positioniere mich im Rahmen meiner Werte und meines Handlungsspielraumes und stelle mich neu auf.

Einfluß von außen

Kommt in diesem Prozess jemand von außen – oft noch ungebeten- dazu und gibt Ratschläge, Bewertungen, zeigt weder Verständnis, Empathie noch zeigt er/ sie seine eigene Hilflosigkeit und Verwundbarkeit offen. Gibt es statt dessen sorgenvoll gut gemeinte belehrende Tipps – platzt mir die Hutschnur. Es erreicht mich in einer Situation der Überforderung und von mir als von oben herab bewertet wird.

Mein Gegenüber hält sich für o.k. und mich für nicht o.k. denke ich dann, weil ich ja selbst an mich – gerade als Improvisationskünstlerin – den Anspruch habe, mit Veränderungen besser umgehen wollen zu können. Weil ich ja heimlich im Kämmerlein eben NICHT täglich und nonstop selbstfürsorglich und so liebevoll über mich denke, wie ich es verdient habe. Schwupps, befinden wir uns im Dramadreieck = Täter-Retter-Opfer.

Sicherheit? unbefriedigt: Gesundheit- unklare Botschaften, wirtschaftlich- sehr klar existenzbedrohlich.

Zugehörigkeit? Unbefriedigt: weshalb dies? Weil ich mich als Künstlerin in meiner Tätigkeit als Teil dieses gesamten Systems verstehe. Mein Beitrag ist wichtig, nur oft nicht so notfallmäßig dringend. Mein Beitrag kann Lebensqualität massgeblich verbessern, im Einzelfall ein Impuls zu einem heilsameren Umgang mit sich selbst ermutigen  – rettet aber keine Leben und stillt keine akuten Blutungen. Ich bin sehr bereit, zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln, als deren Teil ich mich sehe. Ich möchte im System gesehen und gehört werden und mitspielen und stehe zur Zeit am Rand und darf nicht, wie ich möchte.

Fühle ich mich deswegen schlecht oder weiß noch nicht so recht wohin mit mir, eilen mir so viele Kritiker sofort entgegen. Gegen Kritik als solche habe ich nichts, wenn sie denn erbeten ist, ich also bereit bin, sie entgegen zu nehmen und wenn die Kritik wohlwollend und unterstützend gemeint UND formuliert ist. Alles was mit „Du bist“… anfängt lehne ich ab. Ich mag mir von außen keine Identität aufkleben lassen.

Eine gute Kritik ist ein Feedback.

Ich habe etwas angeboten im Buffet des Lebens und werde nun zurück gefüttert. Welchen Anteil in mir ich anfüttere, obliegt mir. Als Feedback gebender habe ich es als hilfreich empfunden, dass ich betone, was da war, wovon ich gut mehr haben kann. Etwas zu verlangen, was nicht da war, typische Formulierung an der Stelle „ich hätte mir mehr xy gewünscht“ ist da wenig hilfreich.

Sinn? Beim Verständnis für den Sinn der Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie eher unbefriedigt. In der Krise als solche: schmerzvoll befriedigt. (Näheres dazu später im Text, wenn ich auf die Frage: Was sind für mich die positiven Aspekte der Krise? eingehe)

Fairness?: Unbefriedigt.

Lies hier weiter im nächsten Beitrag, Teil 3.